Ghosting im Recruiting ist inzwischen ein weit verbreitetes Phänomen. Wer glaubt, dass davon nur eine Seite der beteiligten Parteien betroffen ist, der irrt: Ghosting gibt es in beide Richtungen. Aber warum passiert das und was kann man aktiv (egal auf welcher Seite man steht) dagegen tun?
Was ist „Ghosting“?
Unter dem Begriff Ghosting (engl. „Geisterbild“, „Vergeisterung“) versteht man in einer zwischenmenschlichen Beziehung (Partnerschaft oder Freundschaft) den vollständigen Kontakt- und Kommunikationsabbruch ohne Ankündigung. Obwohl vorher etwa Dates stattgefunden haben oder eine Beziehung bestand, laufen plötzlich jegliche Kontaktversuche ins Leere.
Mittlerweile hat Ghosting weitere Lebensbereiche erreicht. Nicht auf Bewerbungen zu reagieren, war bei vielen Unternehmen über Jahre weit verbreitet. Inzwischen wird jedoch zunehmend von Bewerbenden berichtet, die spurlos verschwinden, oder Auftraggebern, die sich wortlos zurückziehen.
(Quelle: wikipedia)
Warum ghosten Kandidat*innen Unternehmen oder Recruiter*innen? Dafür gibt es verschiedene Gründe:
Passt nicht so
Erste Gespräche wurden geführt, Informationen ausgetauscht und dann stellt man fest: das passt nicht richtig. In aller Regel bleiben Recruiter*innen am Ball, wenn die ersten Kontakte positiv verliefen und erfolgsversprechend aussahen. Obwohl diese ersten positiven Signale gesendet und empfangen wurden, hat die eine Partei sich entschieden, das Thema nicht weiter zu verfolgen. Es folgt: Totenstille.
Kein Wechseldruck
Es bestand von Anfang an nur latentes Interesse an der angebotenen Position oder an einem Wechsel generell: die aktuelle berufliche Situation ist komfortabel genug, um nicht auf dem Sprung zu sein. Das erhaltene Angebot war so semi-spannend, der Kontakt zum Recruiting vielleicht auch nur unverbindlich, der oder die Kandidat*in sieht schlichtweg keinen Grund, sich aktiv aus dem Prozess zu ziehen.
Schlechtes Bauchgefühl
Die ersten Gespräche sind gelaufen, bis zu einem gewissen Punkt war alles prima, und dann meldet sich der Bauch: da passt was nicht. Die kennengelernte Führungsebene hat einen anderen Stil als man sich das wünscht, die Entwicklungsschritte, die vorgestellt wurden, erscheinen unrealistisch, die Wertschätzung im persönlichen Kontakt fehlte. Schlichtweg: der Eindruck „Da möchte ich nicht (jeden Tag) hin“ festigt sich.
Warum ghosten Recruiter*innen Kandidat*innen? In einem Artikel auf Forbes.com werden folgende drei Punkte als Top-Gründe genannt:
Veränderte Prioritäten
Das Profil des Kandidaten (mwd) passt plötzlich nicht mehr so gut wie zu Beginn gedacht, denn der Fachbereich fordert nun doch stärkere IT-Anwendungskenntnisse oder mehr Berufserfahrung. So wird aus einem A-Kandidaten (mwd) ganz schnell ein B. Die neuen „A“s werden also definiert und zunächst bearbeitet – wenn man länger nichts hört, liegt man vielleicht schon mal nicht auf dem A-Stapel…
Die Ansprechperson ist außer Haus (im Urlaub oder für immer)
Leider fehlt in vielen Organisationen immer noch ein sauberes Vertretungsmanagement. Wenn man als Kandidat*in also eine ganze Weile nichts hört, muss das nicht zwangsläufig an der eigenen Qualifikation liegen, es könnte sich auch um eine organisatorische Schwachstelle auf Unternehmensseite handeln. Sie haben sich als Lean-Manager*in beworben? Wunderbar, herzlich willkommen, hier erwartet Sie wohl eine Spielwiese! Wenn nicht: nicht gleich abhaken. Nach rund 10 Tagen darf man auch ruhig mal nachfragen, wie eigentlich der aktuelle Stand ist.
Die Recruiter*innen machen einen schlechten Job
Ganz echt: Ich stimme nicht zu. Wir Recruiter*innen sind selten das wohl bekannte „Bottle Neck“. Um die Lanze für uns einmal mehr zu brechen: Wir sitzen schließlich auch immer zwischen den Stühlen… Und wer glaubt, dass im HR eine personelle Entscheidung final getroffen wird, der hat nicht verstanden, wie Unternehmen ticken: Die Entscheidung über Einstellung oder Absage trifft der Fachbereich. Wir können „nur“ beraten – und ausführen. Was wir machen: uns regelmäßig rückmelden, versichern, dass die Prozesse noch am Laufen sind, ein offenes Ohr haben für Rückfragen und Bedenken auf Kandidat*innenseite. Und wenn uns das mal nicht so zeitnah gelingt wie sich das sicher jede*r im Prozess wünscht, dann hoffen wir einfach mal auf Wohlwollen von allen Seiten. Wir bringen auch ganz viel davon mit in den Prozess.
Daher glaube ich viel eher an diesen Punkt als weitere Ursache:
Work-Overload
Die Recruiter*innen haben (meistens) echt viel um die Ohren, und möglicherweise rutscht auch mal was durch. Bitte, nicht gleich den Scheiterhaufen anheizen!!! Lieber mal nachhaken, so kommt bestimmt auch eine einleuchtende Erklärung dabei raus.
Genauer betrachtet komme ich auf eine ziemlich einfache Lösung der Situation und damit auf die Alternative zum Ghosting: Transparenz ist der Schlüssel zum Erfolg. Daher mein Appell:
Liebe Kandidat*innen, wenn Ihr ghostet: Bitte denkt dran, hinter eurer fehlenden Rückmeldung steht ein langer Prozess, der dann ebenfalls ins Schleppen gerät. Im blödesten Fall steht die Entscheidung für oder gegen eine weitere Person in Abhängigkeit zu eurer Antwort. Und übrigens: „Wir“ können eure Absage gut verkraften. Besser, als geghostet zu werden.
Und wenn Ihr euch geghostet fühlt: bitte verurteilt nicht (vorschnell) die Beteiligten. Greift zum Hörer und ruft an, whatsAppt oder mailt „uns“, Ihr belästigt uns nicht!
Liebe Recruiter*innen, hier kommt ein Tipp aus dem Berufsalltag: damit Ihr nicht zu Ghoster*innen werdet, plant euch zwei feste Zeitfenster pro Woche ein, in der alle offenen Kandidat*innen in Prozessen kurz gescreent und bei Bedarf kontaktiert werden. Es gibt wunderbare technische Tools, die das unterstützen. Falls euch keines zur Verfügung steht: Zettel und Stift haben schon immer verlässlich funktioniert.
Wenn Ihr euch geghostet fühlt: Fragt freundlich ein letztes Mal nach, stellt mit dieser letzten Nachricht klar, dass der Kontakt von eurer Seite nicht weitergeführt wird, sofern keine Rückmeldung bis z.B. Ende der Woche erfolgt, und bedankt euch herzlich für den bisherigen Kontakt. So kann man zumindest den Fall abschließen.